Freitag, 17. Juli 2015

Zu langsam

Ich bin eine Frau und ich sehe den Film „Thelma und Louise“. Er ist fast ein Vierteljahrhundert alt und er spielt in einer Region, die auch heute noch im europäischen Maßstab als eher konservativ gilt. Das klassische Verhältnis von Frau und Mann ist in diesem systemkritischen Film überzeichnet, „aus meinem Leben gegriffen“ sind diese Szenen nicht. Ich könnte mich also distanzieren. Aber ich kann nicht: Das Gefühl gegen den eigenen Willen einen Schwanz in den Körper gesteckt zu bekommen ist in mich eingebrannt, ohne dass ich diese Erfahrung selber machen musste. Ich habe diese Geschichte oft genug gelesen, gehört und gesehen. Manchmal habe ich mich auch in den Mann hineingefühlt, aber dann bin ich doch wieder zurückgefallen in meinen Körper, habe meine Vagina gestreichelt und diesen Schmerz gespürt. Und diese Wut. Der Genuss ihr nachzugeben und sich zu rächen, den Spieß umzudrehen und ihn, den Mann, leiden zu lassen, ihn zu zerstören. Altbekannter Filmplot, gern gespieltes Kopfkino.
Im Hier und Jetzt sitze ich an einer Kiesgrube und der Imbiss ist geschmückt mit einer Frau in lasziver Pose (zu sehen auf dem LKW dieses ekligen Typen aus dem Film), dazu ein Spruch, der „Heißes“ verspricht. Ich denke an die Ratschläge, die ich früher bekam: „nicht direkt in die Augen schauen“, „nicht zu sexy kleiden und bewegen“, „nicht allein trampen oder nachts unterwegs sein“… und daran, dass ich sie an meine Tochter weitergeben werde. Trotzdem. Obwohl ich ihre Implikation kenne, weiß, dass sie zementieren, was schon betoniert ist. Und ich denke an die Geschichten, die wir Frauen uns nach dem dritten Glas Rotwein erzählen und die wir alle schon erlebt haben, die „Kussattacken aus dem Nichts“, die „anzüglichen Sprüche“, das „Gegrabsche und Gepfeife“… und auch ich erzähle sie immer wieder gegen die Angst, früher um mich, jetzt um meine Tochter. Und ich denke an die Rollen, die meine Freundinnen in ihren Partnerschaften und in ihren Berufen spielen, an ihr Zurückstecken, An das Sich-selbst-beschneiden und Beschnitten-werden. Am Ende kommt dasselbe Muster heraus: Wir sind die, die den Kindern die Schuhe kaufen und bei der beruflichen Verwirklichung Verzicht üben. Weil wir weich werden in unserer Forderung nach halbe-halbe, wenn wir sehen, wie viel unsere Männer im Vergleich mit Anderen geben und wie viel sie das kostet. Ich rede mir fleißig ein, dass ich einen kleinen Schritt gemacht habe, aber wieso, wieso so langsam und wann, Mutter, wann sind wir endlich da? Sollte ich doch lieber den Heldinnen nacheifern und um mich schießen. Aber was bleibt dann noch übrig?

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