Freitag, 30. Januar 2015

Pegida am Beispiel von Herrn Meier. Für klare Zwischentöne.

Ich habe gelernt, die Perspektive zu wechseln und empathisch zu sein. Wenn Kollege Meier mich anraunzt, denke ich im ersten Moment noch „Dieser Blödmann!“. Aber dann atme ich tief durch und versetze mich in ihn hinein. Ich spüre seine schlechte Laune und stelle Vermutungen zu ihrem Ursprung an: die kürzlich erfolgte Trennung von seiner Frau, die Kritik unseres Chefs heute Morgen, oder war ich nicht meinerseits vor ein paar Tagen unfreundlich zu ihm? Wie auch immer. Eine Welle warmen Verständnisses und zwischenmenschlicher Verbundenheit durchströmt mich. Ich sehe über Herrn Meiers Entgleisung gnädig hinweg, lächle ihm aufmunternd zu und tue wie mir geheißen. Dann gebe ich mir auf meinem Toller-Typ-Konto einen Pluspunkt, weil ich geschickt einen Konflikt umschifft habe. Fühlt sich gut an. Was aber macht das mit Herrn Meier? Die Lernpsychologie sagt: Herr Meier erlebt positive Konsequenzen als Folge seines vorangegangenen Verhaltens, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass er beim nächsten Mal wieder unfreundlich ist, immerhin lächle ich ihn dann unterwürfig an und gehorche.
Hätte ich vielleicht doch lieber ordentlich zurückschlagen sollen? Die Lernpsychologie rümpft schon wieder die Nase: Herr Meier könnte mich als Rollenmodell missverstehen und bei nächster Gelegenheit nachahmen. Und nein, ich möchte keinesfalls zur Gegengewalt aufrufen. Das Büro ist kein Schlachtfeld. Soweit so altbekannt. Aber was hindert uns denn daran, unsere eigene, persönlich passende Nuance zwischen alttestamentarischem Auge-um-Auge und reformpädagogischem Gewährenlassen zu finden?
Unsere persönliche Eitelkeit? Herr Meier hat an ihr gekratzt und uns mit seinem respektlosen Verhalten gezeigt, dass unser Thrönchen wackelt. Das korrigieren wir schleunigst indem wir Herrn Meier als rabiate Despoten geradeheraus eins auf den Deckel geben oder als gnädige Herrscher ihm die Verantwortung für sein Handeln durch das Herbeizitieren guter Gründe absprechen.
Unsere Denkfaulheit? Herr Meier hat an der alten Gewissheit der Geschichtenerzähler gerüttelt, dass Gut gut bleibt und Böse böse. Da müssen wir schnell wieder zurücksortieren, bevor die Unterscheidung zwischen Person und Verhalten noch zu Unordnung in den Schubladen führt.
Unsere Angst vor Neuem? Herr Meier hat anders gehandelt als erwartet – schlecht dies. Aber noch schlimmer wäre es, wenn das jetzt so weiter ginge, mal hüh mal hott. Wo kämen wir da hin, wenn jeder sich nach Lust und Laune ändern würde? Da ist uns der Determinismus doch lieber, da weiß man was man hat.
Was benötigen wir also für den Balanceakt zwischen Abgrenzen und Annehmen? Ein bisschen Stolz, um nicht gleich von der ersten Raupe angefressen zu sein. Ein bisschen Kraft, um nicht gleich über die erste Hürde zu stolpern. Ein bisschen Mut, um nicht gleich beim ersten Regentropfen heim zu kehren.
Für meinen Umgang mit Pegida-Anhängern und anderen Fundamentalisten bedeutet das: 1. Ich begegne ihnen auf Augenhöhe und nehme sie ernst. 2. Ich begehre auf, wenn sie mit ihrem Verhalten meine Werte verletzen. 3. Ich begebe mich gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach neuen Wegen.

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