Ich habe gelernt, die Perspektive
zu wechseln und empathisch zu sein. Wenn Kollege Meier mich anraunzt, denke ich
im ersten Moment noch „Dieser Blödmann!“. Aber dann atme ich tief durch und
versetze mich in ihn hinein. Ich spüre seine schlechte Laune und stelle
Vermutungen zu ihrem Ursprung an: die kürzlich erfolgte Trennung von seiner
Frau, die Kritik unseres Chefs heute Morgen, oder war ich nicht meinerseits vor
ein paar Tagen unfreundlich zu ihm? Wie auch immer. Eine Welle warmen
Verständnisses und zwischenmenschlicher Verbundenheit durchströmt mich. Ich
sehe über Herrn Meiers Entgleisung gnädig hinweg, lächle ihm aufmunternd zu und
tue wie mir geheißen. Dann gebe ich mir auf meinem Toller-Typ-Konto einen
Pluspunkt, weil ich geschickt einen Konflikt umschifft habe. Fühlt sich gut an.
Was aber macht das mit Herrn Meier? Die Lernpsychologie sagt: Herr Meier erlebt
positive Konsequenzen als Folge seines vorangegangenen Verhaltens, was die
Wahrscheinlichkeit erhöht, dass er beim nächsten Mal wieder unfreundlich ist,
immerhin lächle ich ihn dann unterwürfig an und gehorche.
Hätte ich vielleicht doch lieber ordentlich zurückschlagen
sollen? Die Lernpsychologie rümpft schon wieder die Nase: Herr Meier könnte
mich als Rollenmodell missverstehen und bei nächster Gelegenheit nachahmen. Und
nein, ich möchte keinesfalls zur Gegengewalt aufrufen. Das Büro ist kein
Schlachtfeld. Soweit so altbekannt. Aber was hindert uns denn daran, unsere
eigene, persönlich passende Nuance zwischen alttestamentarischem Auge-um-Auge
und reformpädagogischem Gewährenlassen zu finden?
Unsere persönliche Eitelkeit? Herr Meier hat an ihr
gekratzt und uns mit seinem respektlosen Verhalten gezeigt, dass unser
Thrönchen wackelt. Das korrigieren wir schleunigst indem wir Herrn Meier als
rabiate Despoten geradeheraus eins auf den Deckel geben oder als gnädige
Herrscher ihm die Verantwortung für sein Handeln durch das Herbeizitieren guter
Gründe absprechen.
Unsere Denkfaulheit? Herr Meier hat an der alten Gewissheit
der Geschichtenerzähler gerüttelt, dass Gut gut bleibt und Böse böse. Da müssen
wir schnell wieder zurücksortieren, bevor die Unterscheidung zwischen Person
und Verhalten noch zu Unordnung in den Schubladen führt.
Unsere Angst vor Neuem? Herr Meier hat anders gehandelt als
erwartet – schlecht dies. Aber noch schlimmer wäre es, wenn das jetzt so weiter
ginge, mal hüh mal hott. Wo kämen wir da hin, wenn jeder sich nach Lust und
Laune ändern würde? Da ist uns der Determinismus doch lieber, da weiß man was
man hat.
Was benötigen wir also für den Balanceakt zwischen
Abgrenzen und Annehmen? Ein bisschen Stolz, um nicht gleich von der ersten
Raupe angefressen zu sein. Ein bisschen Kraft, um nicht gleich über die erste
Hürde zu stolpern. Ein bisschen Mut, um nicht gleich beim ersten Regentropfen
heim zu kehren.
Für meinen Umgang mit Pegida-Anhängern und anderen Fundamentalisten bedeutet das: 1. Ich begegne ihnen auf Augenhöhe und nehme sie ernst. 2. Ich begehre auf, wenn sie mit ihrem Verhalten meine Werte verletzen. 3. Ich begebe mich gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach neuen Wegen.
Für meinen Umgang mit Pegida-Anhängern und anderen Fundamentalisten bedeutet das: 1. Ich begegne ihnen auf Augenhöhe und nehme sie ernst. 2. Ich begehre auf, wenn sie mit ihrem Verhalten meine Werte verletzen. 3. Ich begebe mich gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach neuen Wegen.
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